Der rote Becker - vom Staatsfeind zum kaiserlichen Politiker
Von den Kölner Oberbürgermeistern der letzten beiden Jahrhunderte hat nur Hermann Heinrich Becker der Stadt seine Bibliothek hinterlassen. Die ursprünglich 15.000 Bände umfassende Privatbibliothek enthielt, Beckers Bildungs- und Berufsweg entsprechend, vornehmlich juristische, politische und volkswirtschaftliche Literatur. Darüber hinaus sammelte er viele Werke zur deutschen Geschichte, Westfalica und Broschüren zur Politik des 19. Jahrhunderts. Bis auf rund 600 Bände, die unter der Signatur "BECK" aufgestellt wurden, ist diese große Sammlung in die Aufstellungssystematik der Stadtbibliothek, deren Bestand heute ein Teil der USB ist, eingearbeitet worden.
Hermann Heinrich Becker (1820 - 1885)
Aufgewachsen ist der am 15. September 1820 in Elberfeld geborene Becker im westfälischen Soest. Nach seiner Gymnasialzeit in Soest, Dortmund und Duisburg studierte er bis 1847 Jura an den Universitäten Heidelberg, Bonn und Berlin. Er schloss das Studium mit der Promotion ab. Becker wechselte von Berlin an das Landgericht Bonn und von dort 1848 an das Landgericht Köln. Bald befand er sich mitten im Kampf der demokratischen Bewegung, die sich im Rheinland besonders engagierte. Zu den in der Folgezeit gegen Becker geführten Prozessen gehört vor allem der aufsehenerregende "Kölner Kommunistenprozess". Hatte er bis dato durch glänzende Verteidigungsreden Freisprüche erzielen können, wurde er nun zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Becker durfte sich nach verbüßter Strafe nicht wieder in Köln ansiedeln. Seine politische Laufbahn führte ihn nach Dortmund, wo er 1862 als Abgeordneter ins Preußische Abgeordnetenhaus einziehen konnte, bevor er 1870 Dortmunder Oberbürgermeister wurde und Mitglied des Preußischen Herrenhauses. 1875 berief man ihn schließlich als Oberbürgermeister nach Köln. Zu den wichtigsten Ereignissen seiner zehnjährigen Amtszeit zählt vor allem die Niederlegung der alten Kölner Stadtmauer. Am 9. Dezember 1885 starb Hermann Heinrich Becker an den Folgen einer Tuberkulose-Infektion. Er wurde auf dem Kölner Melatenfriedhof beigesetzt.
"Der rote Becker" in der Kölner Sammlung von Zeitungsausschnitten 1840 - 1969 >>
Biografische Notizen:
Beckers politische Karriere und der Kölner Kommunistenprozess
Den Spitznamen "der rote Becker" verdankte der Kölner Oberbürgermeister seinem roten Haar und seiner kommunistischen Vergangenheit. In den 1840er Jahren gehörte Becker in das Umfeld der radikaldemokratischen und nationalrevolutionären Zirkel. Außerdem arbeitete er als Korrespondent für die liberale Leipziger "Deutsche Allgemeine Zeitung". Gleich nach seiner Ankunft in Köln begann das politische Engagement des Gerichtsreferendars am Kölner Landgericht. Er trat in den "Verein der Arbeiter und Arbeitgeber" ein und wurde Mitglied der "Kölner Bürgerwehr". Im Revolutionsjahr 1848 erfolgte seine erste Verhaftung . 1849/50 gründete er die "Westdeutsche Zeitung", Nachfolgeblatt der unter dem Redakteur Karl Marx verbotenen "Neuen Rheinischen Zeitung". Alsbald erfolgte seine Entlassung aus dem preußischen Dienst wegen "tadelhafter Führung". 1851 gab Becker einen Band "Gesammelte Aufsätze" von Karl Marx heraus. Im Oktober 1852 begann die Hauptverhandlung gegen elf, seit Monaten in Haft befindliche, Mitglieder des Kommunistenbundes. Marx' "Manifest der kommunistischen Partei" wurde im Gerichtssaal vollständig verlesen und war Teil der Anklage. Es gelang den Angeklagten jedoch, die gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen weitgehend zu entkräften. Vor dem Ende des Prozesses wurde dem Gericht ein gefälschtes "Original-Protokollbuch" der "Partei-Marx" vorgelegt. Ob die Fälschung für den Urteilsspruch relevant war, ist umstritten. Anstatt bereits naheliegender Freisprüche wurden letztlich drakonische Strafen verhängt. H. H. Becker wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Er verbüßte seine Strafe von November 1852 bis November 1857 in Stettin und in der Danzig-Festung Weichselmünde. Karl Marx verurteilte den Kölner Kommunistenprozess in seinen "Enthüllungen über den Kommunisten-Prozess zu Köln" von 1853. Hermann Beckers Karriere konnte erst nach seinem Gesinnungswandel zu einem liberalen Politiker - er trat der Deutschen Fortschrittspartei bei - unter dem neuen preußischen Herrscher Wilhelm I. stattfinden. Obwohl dieser 1848 brutale Härte gegenüber den Berliner Barrikadenkämpfern gefordert hatte ("Kartätschenprinz"), verurteilte er die Voreingenommenheit seines Bruders den "treulosen" Rheinländern gegenüber.
1881: Abriss der Kölner Stadtbefestigung unter Oberbürgermeister Becker
Nach dem siegreichen Krieg gegen Frankreich war die Rayon-Beschränkung der preußischen Festung Köln (seit 1815) aufgegeben worden. Das freizuhaltende Schussfeld vor der Stadtbefestigung durfte nun bebaut werden. Aus diesem Grund wurde ab 1881 die gewaltige, seit dem Mittelalter bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts immer weiter aus- und umgebaute Stadtbefestigung gesprengt und abgetragen. Nur wenige Mauerreste (Hansaring, Sachsenring), drei große Torburgen (Eigelsteintor, Hahnentor, Severinstor) und einige Türme (Bayenturm, Bottmühle, Ulrepforte, Weckschnapp) sind erhalten geblieben. Nachdem die rheinseitige Mauer bereits in den Jahren 1850-1860 abgebrochen worden war, schlug man auf der Landseite am Gereonshof die erste Bresche. Vor dem ehemaligen Festungsgraben entstand bald darauf die neuangelegte Ringstraße. Die Hauptverteidigungslinie der Stadt bildeten nun die im gleichen Jahr errichteten Forts an der Militärringstraße.
"Was unsere Altvorderen bauen mussten, damit Cöln groß würde, das müssen wir sprengen, damit Cöln nicht klein werde." (Aus der Rede des Oberbürgermeisters Becker vor der ersten Sprengung am 11. Juni 1881.)
Ausgewählte Literatur
- Beßelmann, Karl-Ferdinand: Hermann Heinrich Becker (1820 - 1885), in: Kölner Sammler und ihre Bücherkollektionen in der Universitäts- und Stadtbibliothek, Cologne, 2003, Signatur: 30A2183
- Herres, Jürgen: Der Kölner Kommunistenprozess von 1852, in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt und Regionalgeschichte, 50/2003 online version. (PDF file; 103 KB)
- Kühn, Walter: Der junge Hermann Becker, Dortmund, 1934, Signatur: U34/899
- Melis, Francois: Zur Geschichte der Neuen Rheinischen Zeitung und ihrer Edition in der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA), Magdeburg, 2012., Signatur: 41A4977