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STATION 1: WEGWEISER ... IN DIE FERNE

Sie sehen hier ein kleines, handliches Buch, das in eine Hosentasche passt, aber dennoch auf seinen Seiten die gesamte Welt abbildet. Diese 1713 gedruckte Ausgabe der Epitome Cosmographica des Kartografen Vincenzo Maria Coronelli ist eine buchbinderische Meisterleistung: Die runden Karten sind raffiniert in den rechteckigen Buchblock gefaltet, sodass man sie unterwegs nach Bedarf ansehen kann. Ein solches Buch hätte Adam Schall von Bell gut 100 Jahre zuvor, als rheinischer Jesuit, Asienreisender und Astronom am Hof des chinesischen Kaisers Shùnzhì, sicherlich gerne auf seinen Reisen dabeigehabt.

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Johann Adam Schall von Bell (1591 - 1666) war ein deutscher Jesuit, Wissenschaftler, Missionar und Mandarin am Hof des Kaisers von China.

WAGE ES, WEISE ZU SEIN!

Der Mann auf dem Bild

Die Geheimnisse des Himmels ergründender Lehrer, so lautete ein Titel Adam Schall von Bells am chinesischen Kaiserhof. Sie sehen das Porträt des 1592 im rheinischen Lüftelberg (heute zu Meckenheim gehörend) geborenen Jesuiten im Ornat eines Mandarins 1. Klasse am chinesischen Kaiserhof.

Adam Schall von Bell gehört zu einer Reihe von Jesuiten, die im 16. und 17. Jahrhundert als Missionare und Wissenschaftler in Indien, China und Japan wirkten. 400 Jahre nach Marco Polo waren es vornehmlich diese gelehrten Kleriker, die Wissen in den fernen Osten und von dort Informationen zurück in die westliche Welt brachten. Durch den Wissenstransfer beeinflussten sie im Westen für Jahrhunderte den Blick auf diesen Teil von Asien.

Adam Schall von Bell besuchte in Köln das Tricoronatum, jene jesuitische Institution, deren Gebäude heute noch teilweise in der Marzellenstraße erhalten ist. Ab 1608 studierte er in Rom und trat zwei Jahre später in den Orden der Jesuiten ein. Den Spuren seiner Vorgänger Franz Xaver, Matteo Ricci und Johannes Schreck folgend, ging er mit einigen anderen Ordensbrüdern 1618 in Lissabon an Bord und reiste auf dem Seeweg nach Macao. In China angekommen beherrschte Schall von Bell nach intensiven Studien bald fließend die Landessprache. 1630 berief man ihn nach Beijing (Peking), wo er, wie sein direkter Vorgänger Schreck, in der Jesuitenmission lebte und an der Verbesserung des chinesischen Kalenders arbeitete. Auf dem kolorierten Kupferstich sehen wir ihn umgeben von Büchern, Karten und Globen sowie seinen astromischen Instrumenten.

Bis 1661 war die Mission sehr erfolgreich. Der Astronom und Mathematiker wurde nicht nur Teil der angesehenen Gelehrtenkaste, sondern stieg auch in der politischen Kaste des Landes auf und stand bald hoch in der Gunst des jungen Kaisers Shùnzhì (1638-1661). Nach dessen Tod fiel die Gruppe um Schall von Bell jedoch in Ungnade. Wegen vermeintlich falscher astronomischer Berechnungen und unerlaubter religiöser Aktionen wurde er des Hochverrats bezichtigt und gefangengenommen. Bereits zum Tode verurteilt, sollen es ein oder mehrere Erdbeben gewesen sein, die als göttlicher Beweis für Schall von Bells Unschuld angesehen wurden. Demnach führte ein Naturereignis zu seiner Begnadigung. Er durfte in die Missionsstation zurückkehren, wo er, bereits schwer erkrankt, 1666 starb. Drei Jahre später rehabilitierte und würdigte ihn der chinesische Kaiser und ließ auf seinem Grab einen großen Grabstein gleich dem von Johannes Schreck aufstellen.

Zu Schall von Bells jesuitischer Gelehrtengruppe gehörte zeitweise auch der Geograf und Kartograf Martino Martini (1614-1661). Er veröffentlichte 1655 seinen großen „Novus atlas Sinensis“. [1] Martinis landeskundliche Studien und kartografische Skizzen waren in Europa sehr begehrt. In Rom berichtete er nicht nur pflichtgemäß seiner Ordensleitung von seinen Arbeiten, sondern informierte auch Athanasius Kircher (1602-1680), das jesuitische Universalgenie, über die Vorgänge im fernen Osten. Kircher verwendete diese Informationen in mehreren Büchern über China, ohne jemals selbst dort gewesen zu sein. Aus seinem 1668 in Amsterdam erschienenen Werk „Toonneel [Bühne] van China“ stammt das hier gezeigte Portrait von Adam Schall von Bell. [2] Auch der berühmte Amsterdamer Verleger Joan Blaeu erhielt von Martini Kartenzeichnungen aus erster Hand, die später Eingang in seinen berühmten Atlanten fanden und somit verbreitet wurden.

Obwohl eingehegt durch die damals in Ost und West geltenden religionspolitischen Grenzziehungen der übergeordneten Institutionen, wird an diesen Beispielen deutlich, was wir heute als Zusammenspiel von (Feld-) Forschung und Lehre bezeichnen. Man mag daher das Schaffen von Wissen, den Wissenstransfer und die Konservierung von Erkenntnissen, die in vielfältiger Weise durch die Männer des Jesuitenordens in die Welt und in die Köpfe kamen, als ein Ergebnis der von der Idee der Mission und dem Bedürfnis nach einem umfassenden Weltverständnis getragenen Auftrags ansehen.

Das Buch in der Vitrine

Im wissenschaftlichen Wirken eines Ordensmannes der Franziskaner-Minoriten fand die dargestellte wissenschaftliche Profession der genannten Jesuiten eine Fortsetzung. Der Italiener Vincenzo Maria Coronelli (1650-1718) war wie Schall von Bell Astronom. Auch er arbeitete an einem immerwährenden Kalender und erhielt dazu von Kaiser Karl VI.  (1685-1740) eine offizielle Anstellung. Wie Martini war er Geograf und Kartograf und wie Kircher beschäftigte er sich mit vielen anderen (technischen) Herausforderungen seiner Zeit.

Von ihm stammt das Buch in der Vitrine, ein kleiner Atlas, ein Büchlein, das hinter seinen großen Werken, vor allem seinen berühmten Globen nahezu unscheinbar wirkt und fast vergessen ist. Da er selbst nie in Ostasien war, finden sich die Erkenntnisse der Jesuiten auch in seinen Landkarten wieder. Wo Martinis eigener Atlas von China ein großformatiges und schweres Buch ist, für das man zum Lesen einen Tisch als Unterlage braucht, ist Coronellis Werk mit dem Titel „Epitome [Inbegriff] cosmografica“ ein kleines, 1693 erstmals erschienenes Buch, das man gut auf Reisen mitnehmen und mittels dessen Karten man sich orientieren konnte.[3] Dabei geht es um nicht weniger als eine Beschreibung der Welt und des Weltalls auf rund 400 Seiten. Darüber hinaus ist das Besondere an diesem Werk die überaus kunstfertige und raffinierte buchbinderische Gestaltung: Aus einem quadratischen Buchblock entfaltet sich eine runde, das Buch überragende Karte. Man sieht es dem Büchlein nicht an, dass sich insgesamt 35 in Falttechnik zusammengelegte Grafiken darin befinden.

Die eher unübliche kreisförmige Darstellung der Karte führt dazu, dass es zu einer in die Breite gezogenen Ansicht kommt. Wir sehen daher China und Japan oben am äußeren rechten Rand und die Ansicht des nur grob skizzierten Australiens, damals noch bezeichnet als „Nuova Hollanda“, so genannt von Abel Tasman (1603-1659), der den fünften Kontinent 1642 umsegelte und als Erster auch die Insel erreichte, die heute seinen Namen trägt.

Auf der Karte ist im unteren Bereich viel Platz gelassen („Der weiße Fleck auf der Karte“) für den dort vermuteten, jedoch noch unentdeckten Südkontinent, hier genannt „Terra Australe Incognita“. Erst während der 100 Jahre später erfolgten Südseereisen und der Weltumseglung von James Cook (1728-1779) wurde nicht nur Australiens Küstenverlauf kartographiert und neue astronomische Studien durchgeführt, sondern auch das Rätsel und die „Terra Incognita“ gelöst: Es gibt keinen Südkontinent unterhalb von Australien, Neuseeland und oberhalb der Antarktis.

Wieder kam neues Wissen in die (westliche) Welt und es mussten Bücher neu geschrieben und Karten und Globen korrigiert werden. Längst war der Wissenstransfer die Domäne von Vielen, die auszogen, die Welt zu erkunden.

 

[1] Martini, Martino: Nuovo atlas Sinensis. Amsterdam: Blaeu, 1655. USB Köln: GBXI153+B.

[2] Das Porträt befindet sich in: Kircher, Athanasius: Toonnell Van China, Door veel, Zo Geestelijke als Werreltlijke, Geheugteekenen, Verscheide Vertoningen van de Natuur en Kunst, en Blijken van veel andere Gedenk- waerdige dingen, Geopent en Verheerlykt. Amsterdam: Waesberge, 1668. Zum Digitalisat der USB Köln: GBXIV371.

[3] Coronelli, Vincenzo: Epitome cosmografica o Introduzione all’astronomia, Geografia ed idrografia. Colonia: Ad istanza di Andrea Poletti in Venetia, 1693. USB Köln: GBVIII173+D.

Text zu Station 1:
Dr. Christiane Hoffrath, Leiterin des Dezernats „Historische Bestände und Sammlungen, Bestandserhaltung und Digitalisierung“ der USB Köln / Projektleitung des LAM-Projekts „Rekonstruktion der Kölner Jesuitenbibliothek“.